Der kleine Prinz beim Digitalplaneten

 

 

Der kleine Prinz landete auf dem Planeten der Digitalisten. „Grüß Gott“ sagte der kleine Prinz. Der Digitalnist starrte auf sein Handy und antwortete nicht.

 

„Grüß Gott“ sagte der kleine Prinz noch einmal etwas lauter. Der Digitalist schaute ganz kurz auf und sagte „Ich kann dir leider nicht antworten.“ „Warum nicht“, fragte der kleine Prinz. „Wohin soll ich dir meine Antwort mailen, wenn du kein Handy bei dir hast. Ich sehe jedenfalls keines.“ Der kleine Prinz schaut ihn fragend an. „Wenn du online wärst, könnte ich dir sogar mein Bild zuposten. Und du könntest dich dann mit deinem Bild revanchieren.“ Der kleine Prinz schaute verwirrt. Der Digitalist sah ihn etwa mitleidig an und meinte: „Sag einmal, wo kommst du denn her?“ „Ich habe den Eindruck, du bist nicht einmal vernetzt“. „Vernetzt?“ fragte er. „Ach ja, auf meinem Planeten gibt es eine Rose, die ist vernetzt“. An dem Rosenstock ist ein Spinnennetz, und meine Rose ist darüber sehr ärgerlich, weil sie meint, das Netz würde sie verschandeln. Sie hat schon alles versucht, es los zu werden, aber es gelingt ihr nicht“. „Die Mühe kann sie sich sparen“, entgegnete der Digitalist „Wer einmal vernetzt ist, bleibt es für alle Zeit. Man kommt nicht mehr davon los und wird selbst ein Teil des Netzes“. „Um Himmelswillen“ rief der kleine Prinz. „Ich habe auch noch ein Schaf auf dem Planeten. Hoffentlich gerät es nicht auch in ein solches Netz. Es wäre schade, denn es ist ein wirklich guter Freund.“ „Du hast nur ein Schaf als Freund?“ lachte der Mann mit dem Handy in der Hand. „Bist du nicht bei Facebook? Da hat man hunderte, ja tausende von Freunden und nicht nur ein Schaf.“ „Ich glaube, ich habe noch einen Freund, einen Fuchs, es hat lange gedauert, bis wir uns beide vertraut gemacht haben.“ „Paperlapap“ rief der Digitalist „wo käme man da hin, wenn man sich um jeden einzelnen Freund kümmern müsste. Es reicht, wenn man sie auf einer Liste hat und die E-mail-Adresse kennt. Die ist jederzeit verfügbar. Vorausgesetzt, wie gesagt, dass man vernetzt ist.“ „Freunde sind aber nicht einfach verfügbar. Weißt du überhaupt, was ein Freund ist?“ fragte der kleine Prinz. „Ein Freund ist jemand, der mit dir durch dick und dünn geht und dem man alles anvertrauen kann.“ „Ach ja du meist wohl, dass du dich und er sich outet? Aber was heißt, durch dick und dünn gehen?“ „Das heißt, dass man im guten und in schlechten Zeiten zueinander steht oder auch die Hände ausstreckt, wenn einen der andere braucht.“ „Das ist doch Firlefanz“ entgegnete der Digitalist, „heute genügt es, mit einem Finger auf den richtigen Knopf zu drücken und den Freund auszuwählen, der das richtige Profil hat.“ Wieder schaute der kleine Prinz fragend. „Profil, was ist denn das?“ „Ein Profil bedeutet, dass man eine umfassende Aussage über sich, seine Hobbies, seine Stärken und Schwächen ins Internet stellt, damit jeder sehen kann, woran er ist, wenn er mich zum Freund machen will. Ein Profil dient dazu, dass sich jeder ein klares Bild vom anderen machen kann. Transparenz ist die Voraussetzung für jede Kommunikation.“ „Ich möchte gar nicht alles von meiner Rose oder dem Schaf wissen und möchte aber auch nicht dass jeder alles über mich weiß. Es ist doch schöner, wenn man auch noch etwas Geheimnisvolles belässt.“ „Hast du noch nicht von Aufklärung gehört?“ schimpfte der Digitalist. „In einem aufgeklärten Zeitalter haben Geheimnisse keinen Platz mehr. Wer vernetzt ist, kann mit einem Knopfdruck bei Google Antworten auf alle Fragen dieser Welt bekommen.“ „ Auf alle Fragen?“ wollte der kleine Prinz wissen. „Auch auf das Woher und Wohin?“ „Natürlich, das ist sogar ein gutes Beispiel. Ein besonderer Verdienst der digitalen Welt ist der Navigator. Der Navigator sagt dir auf den Punkt genau voraus, wohin du fahren oder gehen musst. Er berechnet dir sogar auf die Sekunde genau, wie lange der Weg dorthin dauert und wann du ankommen wirst. Damit spart man sich viel Zeit, die man früher für Umwege verloren hat.“ „Ich habe gerade auf den Umwegen viel Schönes und Neues gesehen und erlebt. Und manchmal, wenn ich ganz schnell am Ziel war, wusste ich gar nicht mehr, was ich dort sollte“, meint der kleine Prinz nachdenklich. „In der digitalen Welt werden nicht nur Umwege sondern auch Wege überflüssig. Man kann mit einem Drücken auf den richtigen Knopf sich jede Mühe und Anstrengung ersparen. Sogar den eigenen Lebensweg.“ Jetzt war der kleine Prinz aber richtig verblüfft. „Den eigenen Lebensweg?“ fragte er ungläubig. „Heißt das, dass man vielleicht gar nicht mehr diesen Weg gehen muss?“ „So ist es. Schon einmal etwas von der virtuellen Welt gehört? Immer mehr Menschen begeben sich mittels Knopfdrucks bereits in diese.“ „Auf dem Planeten des Geographen habe ich gesehen, wie der einen Welt-Atlas in der Hand hatte. Ist da ein Bild dieser Welt auch drinnen?“ „Nein, nein, es gibt kein Bild von der virtuellen Welt, weil es sie eigentlich in Wirklichkeit gar nicht gibt.“ „Du willst mir weismachen, dass es eine Welt geben soll, die es gar nicht gibt?“ rief der kleine Prinz. „Sicher, schon heute verbringen viel täglich die meiste Zeit in ihr.“ „Und wo ist diese Welt? Wie kommt man denn dahin?“ „Natürlich digital. Ich sagte es dir doch bereits. Ohne Digitalisierung ist nichts mehr möglich. Eine Welt ohne Digitalisierung ist wie äh, äh ein Fußballspiel ohne Ball oder ein Auto ohne Lenkrad“. Ist es nicht großartig, mit einem Fingerdruck, die ganze Welt dirigieren zu können?“ „Wenn ein Fingerdruck genügt“, wollte der kleine Prinz wissen, „wozu braucht man dann noch anderer Körperteile?“ „Du hast im Prinzip recht, aber man braucht auch noch den Po, auf dem man sitzt, während man digitalisiert. Und natürlich die Augen, mit denen man sieht, was sich auf dem I-Pad oder Tablet abspielt. Ist es nicht genial, dass es der Fortschritt dank der Digitalisierung geschafft, hat, die ganze Welt und das ganze Weltgeschehen auf ein paar Quadratzentimeter überschaubar zu machen? Denk einmal, wie man sich früher anstrengen musste: Gehen, wandern, fahren, fliegen. Wieviel Zeit das gekostet hat.“ „Und was machst du mit der gesparten Zeit?“ wollte der kleine Prinz wissen. „Ich sammle immer noch mehr Wissen über die Welt. Du weißt doch, Wissen ist Macht!“ „Es gibt verschiedene Arten von Wissen“ sagte der Kleine Prinz. „Woher weißt du denn,dass aus deinem Gerät das richtige Wissen herauskommt? Du weißt ja nicht einmal, wer es dorthin hineingebracht hat.“ „Mit solchen Spitzfindigkeiten beschäftige ich mich nicht. Mir ist nur wichtig, dass ich Antwort auf alle meine Fragen bekomme, wenn ich auf den richtigen Knopf drücke.“ „Der Knopf ist dir also wichtiger geworden also dein Kopf“ lachte der kleine Prinz. „Ich sehe du lebst in einer ganz anders Welt als in der Realwelt von heute“, schimpfte der Digitalist. „Realwelt?“ fragte der kleine Prinz. „Deine Realwelt ist ja nicht einmal eine Traumwelt, weil man wenigstens noch selber träumen kann. Du aber lebst nicht mehr selber, du wirst gelebt und lässt andere für dich leben. Wenn du auf den Knopf drückst, schaltest du dich da ein, wo du dich von deinem Leben abschaltest.“ Und er machte sich wieder auf die Reise. „Halt, halt“ rief ihm der Digitalist nach, „du hast mir noch gar nicht deine E-Mail gegeben. Damit ich dir mitteilen kann, wenn ich mich entschließen sollte, keine e-mail mehr zu versenden“.

 

 

 

Helmut Zöpfl