Das letzte Aufgebot

 

 

 

Manchmal ist es schon komisch, was man für Assoziationen bei irgendwelchen Bildern hat. Bei der Betrachtung einer regelmäßig in der Tageszeitung erscheinenden Werbeseite für originelle Geschenke entdecke ich das Neueste auf dem sog. „Bavaria Sektor“. Und da fällt mir ein Bild ein mit dem Titel „Das letzte Aufgebot“. Darauf sind ein paar alte Männer mit Dreschflegeln, Sensen usw. zu sehen, die sich noch in die letzte Truppe des Andreas Hofer einreihen.

 

Jeder, der die Situation der Mundart einigermaßen kennt, weiß, wie sehr nicht nur sie, sondern auch die gesamte deutsche Sprache immer mehr am Aussterben ist. Ein paar Stunden Zuhören im sog. Bayerischen Rundfunk oder Fernsehen genügen schon. Vor Jahren erklärten Lehrerinnen in der Schule Sigi Sommers, der Gotzinger-Schule, dass sie kein einziges bayerisches Stück mehr aufführen konnten, weil kein Kind in der Klasse noch Bayerisch spräche.

 

Idealisten wie die Mundartfreunde sind komischer Weise auch nicht immer der Sache förderlich, weil sie teilweise miteinander zerstritten sind und weil sie ihre regionale Mundart als die einzig Echte absolut setzen. Vor Jahren musste ich erleben, wie einer dieser selbsternannten Mundartpäpste unserem bayerischen Urgestein Herbert Schneider vorwarf, er als Großstädter spräche auch nicht die wahre bayerischen Mundart. Ein paar Ideallisten suchen dann sogar noch Schulen auf, singen den Kindern „Annamierl Zuckerschnürl“ vor und meinen, mit diesem Auftritt den Fortbestand des Bayerischen garantiert zu haben. Nun aber zum „Letzten Aufgebot“. Der große Trend scheint seit Jahren dahin zu gehen, dass man bekannte Kinder-Bücher wie Struwwelpeter, Max und Moritz usw. ins Bayerische übersetzt. Vorbild scheint Michael Ehbauers „Bayerischen Weltgeschicht“ zu sein. Diese aber ist ebenso eine sehr geistreiche und lustige Neuschöpfung wie Schallwegs „Opern auf bayerisch“. Die Übersetzungen sind genauso wie „Märchen auf bayerisch“ oder „Asterix auf bayerisch“ ganz allein ein Schmarrn, weil die Übersetzung, dass die Witwe Bolte statt Hühner „Henna“ besaß oder die Frau Holle statt dem Schnee für den „Schnä“ verantwortlich sei, ist wie eine Verfälschung der Mundart zu einer künstlichen Schriftart, die teilweise nicht einmal für Urbayern lesbar ist. Der unvergleichliche Gustl Bayrhammer erklärte mir immer wieder: „Schreib deine Mundartgedichte lieber der Schriftsprache angenähert, weil ich, wenn ich es weiß, z.B. „alt“ sowieso auf bayerisch ausspreche und möglicherweise mit den Lautierwort „oid“, „ojd“ weniger anfangen kann.“ Man darf gespannt sein, was die Crew der sich bayerische Schriftsteller Nennenden noch alles an weiß-blauen Dolmetschereien hervorbringt und wann es vielleicht zu einer bayerischen Formelsammlung oder gar zu einem bayerischen Telefonbuch kommt, wo zumindest die Vornamen bajuwarisiert werden, also etwa ein Thomas Eiermann dann also „Oamo Dammerl“ mit der Nummer Zwoaoansnuidreiasechzg geführt wird, wohnhaft z'MInga in der Bleamestrass auf zwoarazwanzg.

 

Zu den Rettungsversuchen zählen auch die unseligen Versuche, die Speisenkarten zu verbaiuvarisieren. Da steht dann statt der Ochsenschwanzsuppe „A guats Supperl vom Ochsn sein Schwanzerl“, statt Schinkennudeln, „Selbergmachte Nudeln mit a paar Stückerl von dem gräucherten Oaschbackn von der Sau“, „Erdäpfe und greaner Salod“ usw. und deneben Mc Chicken-Cheesburger. Und für unsane Kloana: „Was Süaß als Magntrazterl“ usw.

 

Zurück zu den Katalogen. Neben den Büchern werden immer mehr auf bayrisch getrimmte Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke angeboten. Golfbälle in weiß-blau, ein bayerischer Schnuller namens Weißwurschtzuzler Bua, aber auch, damit nicht irgendeine Frauenbeauftragte des Gender-Veto anmeldet, der Weißwurscht-Zuzler Madl im Gegensatz zu dem blauen Buama Dietzl in weiß-rosa. Eine frühkindliche Alternative nennt sich „Dietzel Ozapft is (hellblau) und wirbt mit den Zeilen „Ozapft is, ein Ditzel (diesmal ohne ie) mit Paulchen Bär in Lederhose und mit einem Edelweiß. Daneben wird für die Handerl der früh zu Baiuwarisierenden auch eine „durch und durch bayerische Babyrassel“ aus bayerischem Ahorn-Holz (von 19,90 € auf 14,90€ reduziert) bereitgestellt. Natürlich ist Bayrisch auch für den Strand und das Wasser in allen Variationen angeboten: Seit Jahren ein Badetuch mit der Aufschrift 1qm Freistaat, eine Badehose im Lederhosen-Look, Schwimmwürste, natürlich in Weißwurstgestalt, aber auch eine große Schwimminsel in Brezenform. Ein Steinkrug weiß-blau wirbt mit dem Zeilen: „Der Steinkrug wird ihren Nachwuchs begeistern. Bären Bräu Edelbrause 100% alkoholfrei. Auch in Rot erhältlich. Bei dem weiß-blauen Sparschwein steht der Werbetext „Unser Sparschwein mit Heimatgefühl wartet darauf, dass es gefüttert wird – oder schon gefüttert verschenkt wird“. Ganz neu tauchen als früher Spielgegenstand sog. Plüsch-Brezn auf, die sich, wie es heißt: „zum Spielen, Kuscheln und Knistern eignen“. Sie sind freundlicher Weise kreiert worden, „damit auch die Kleinsten nie auf ihre Breze verzichten müssen.“ Etwas betroffen macht mich das Wort „Knistern“ und ich frag bang, was das eigentlich bedeutet? Ich jedenfalls kann mich nicht erinnern, dass ich in den Kriegsjahren meiner Kindheit etwas zum „Knistern“ gehabt hätte. Bei Gelegenheit muss einmal mit meinem Arzt oder Apotheker darüber sprechen, welchen bisher noch unentdeckten körperlich psychischen Schaden ich davongetragen haben könnte. Vielleicht erklärt das meine chronisch kalten Füße oder auch die Hühneraugen. Man darf gespannt sein, was dem unerschöpflichen Erfindergeist für alle jene noch einfällt, damit unser Bayenturm nicht untergeht und es nicht doch soweit kommt wie in den schrecklichen Prophezeiungen meines lieben Freundes Herbert Schneider schon vor Jahren zu lesen war, dass die letzten Bayern in einer Art Reservat in Feldmoching hinter einem weiß-blauen Zaun ihr Zuhause haben werden und wenn uns dann neugierige Besucher bestaunen und wir dann mit dem Gamsbart wackeln, dann werfen sie uns gleich ein Flascherl Bier über den Zaun.

 

Zur Rettung der Heimat haben sich bekanntlich auch unsere rührigen Politiker Gedanken gemacht und sogar ein eigenes Heimatministerium geschaffen. Bei Wahlveranstaltungen tönen gerade diejenigen, die vor Jahr und Tag nicht genug kriegen konnten, über Heimattümelei ihre Späßchen zu machen, über den Wert der Heimat. Manche begnügen sich sogar als alleiniges Wahlprogramm „Heimat“ auf ihr Plakat zu schreiben. Vor kurzem hab ich eines entdeckt, auf dem nur „Zuhause“ stand, vielleicht versucht die Kandidatin mit der wohl erfolgreichsten Sendung des Bayerischen Rundfunk „Dahoam is dahoam“ in der Übersetzung ins Hochdeutsche „Zuhause ist Zuhause“ zu punkten. Also umgekehrt, vom Bayerischen ins Hochdeutsche geht’s auch. Ansonsten ist der Bayerische Rundfunk rührig bemüht, unsere Englischkenntnisse intensiv zu fördern, gleich ob es sich drum handelt uns weitgehend nur noch englische Schlager zu servieren oder aber auch in Sendungen wie dem Verkehrsfunk die wichtigsten Spezialausdrücke in Englisch nahe zu bringen wenn es in dieser Erde wie in den letzten Jahren beim BR weiter geht, wird bald das einzige Bayerische noch bei Wiesn-Anstich der Ruf „Ozapft is“ übrigbleiben.

 

Ziehen wir ein Resümee für die Erfolgsaussichten des besagten „letzten Aufgebotes“gegenüber einer technisierten Welt, die ohnehin in ihrer Kommunikation weitgehend nur noch Sprachfetzen und Abkürzungen für den SMS-und Whatsapp-Zweck benötigt, einer Welt, in der der Mund und das gesprochene Wort eine immer geringere Rolle spielt, eine Welt, die wie das Wort digital besagt, die Mitteilung weitgehend dem Finger und dem Knopfdruck überlässt. Ich persönlich schätze die Chance durch dieses „letzte Aufgebote“ so hoch ein als wenn man meint, man könne Schwimmen durch das Anschauen der Sendung „Sponge bob“ lernen oder es genüge, einfach eine Badehosen anzuziehen. Hat überhaupt wer oder was eine Chance nicht „vergoogelt“ zu werden? Vielleicht sollte das „letzte Aufgebot“ wie in den Indianerfilmen ins Duell mit den Mächtigen wie Zuckerberg auszutragen. Vielleicht sogar im Fingerhackln. Schön wärs! Vielleicht sollte man aber auch beizeiten die letzten Aborigines -Speaker auch einfrieren. Aber wer hätte daran schon ein Interesse, sie wieder aufzutauen, wenn die Welt nur noch von Vertretern einer künstlichen Intelligenz bevölkert ist? Aber wer weiß. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und vielleicht kehrt in vielen Jahren ein bayerischer Astronaut mit einer Schar auf dem fernen Stern „Bayern drei“ von ihm missionierten Aliens von seiner Zeitreise zurück und beginnt einen Neuanfang mit dem Ruf: „I bin der Franz Xaver Hingerl und da bi i dahoam“.

 

 

 

Helmut Zöpfl