Analyse

 

Analyse

 

 

 

Eine Quizfrage: Welcher Vorname glauben Sie, wurde in den letzten Wahlen am häufigsten genannt? Sie tippen auf Horst, Markus oder auch vielleicht Katharina? Falsch geraten, es ist „Anneliese“. Haha, welch ein Kalauer! Ich meine natürlich Analyse. Dieser Name ist besonders gefragt bei denen, die bei der Wahl schlecht bzw. verheerend abgeschnitten haben. Analyse ist allemal das Wichtigste, was man jetzt machen kann, der Strohhalm an dem man sich hält, damit es noch eine Zukunft für diese Partei gibt. Aber auch auf anderen Gebieten ist die Analyse der Zauberschlüssel zu einem Neuanfang, der sicheren Erfolg verheißt.

 

Probleme sind ein willkommener Anlass für die akademischen Analytiker, in Erscheinung zu treten, wobei sie von vornherein klarmachen, dass Analysen ein langzeitiges und hochzudotieredes Forschungsvorhaben erfordern, für das selbstverständlich auch eine Reihe von Gremien, Kommissionen und Unterkommissionen gebildet werden müssen. Von vornherein gilt also, dass die Analyse oder gar mehrere Analysen sehr viel Zeit erfordern, je wissenschaftlicher sie sein sollen. Da muss man selbstverständlich in Kauf nehmen, dass, bis man zu einer vermeintlichen detaillierten Erfassung des Problems kommt, sich dieses inzwischen ganz anders darstellt, weil Probleme in der Regel geschichtlich sind und damit in engem Zusammenhang mit der Zeitsituation stehen. Manchmal gilt auch der schöne Satz von Ernst Waldbrunn: „Viele Probleme erledigen sich von selbst wenn man sie nicht dabei stört.“ Aus Erfahrung im Bereich der Pädagogik weiß ich, dass, bis es zu einer Analyse kommt, sich Probleme oft ganz anders darstellen, also sofort einer neuen Analyse bedürfen. Ein weiteres kommt dazu: Analysen, und sollten sie noch so detailliert sein, sind noch lange weder eine Lösung des Problems noch irgendwie ein praktikables Rezept. Wer etwa erkennt, was falsch gemacht wurde, weiß noch lange nicht, was besser wäre und vor allem, was und wie man etwas besser machen könnte. Für viele bedeuten Analysen in erster Linie eine möglichst diffizile Aufgliederung eines großen Problems in kleine Einzelprobleme. Da besteht dann die Gefahr des heute so verbreiteten Reduktionismus, der davon ausgeht, in je mehr kleine Teile man das Ganze zerlegt, desto sicherer würde man diese erfassen. Seit Aristoteles aber weiß man, dass das Ganze mehr ist als die Summe der Teile. Problemchen an Problemchen angereiht bedingen oft, dass das Ganze aus den Augen verloren wird, also man, wie das so schön heißt, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Aber jetzt kommt noch die Gretchen-Frage: Was bedeutet das Wort Analyse denn eigentlich? Analyse kommt aus dem Griechischen. In ihr steckt das Verbum „lyo“ und dieses bedeutet „lösen“, „befreien“, „auflösen“ aber auch „trennen“, und sogar „zerstören“. Die Analysis mit dem mehrdeutigen Wort „Auflösung“ übersetzt, bedeutet also so etwas wie Auflösung eines Rätsels aber auch, dass sich etwas grundsätzlich auflöst, sozusagen in Luft aufgeht, verschwindet. Ob wir eine befriedigende Antwort erhalten, wenn wir des Politikers Ruf nach Analyse so übersetzen, dass es darum geht, etwas einfach verschwinden zu lassen, etwa wie wenn man in einen Ballon sticht und die Luft entfliehen lässt und nicht anderes mehr übrig bleibt als zusammengeschrumpfte Hülle? Manchmal gesellt sich zu dem Vorsatz: wir müssen jetzt zunächst analysieren noch das nächste Ziel: „... und dann daraus Konsequenzen ziehen“. Selbstverständlich sind für diese natürlich viele Gesprächsrunden und die Bildung diverser Kommissionen und Unterkommission notwendig, was einen erheblichen Zeitverlust bedeutet.

 

Die Analyse ist aber nicht nur ein wichtiges Wort für die Vertreter der Parteien. In den Medien hat im Anschluss an Wahlen besonders der Berufsstand der Politikwissenschaftlicher Hochkonjunktur. Sieht man in den wirklich hervorragenden Interviews mit dem blitzgescheiten und geistreichen Professor Heinrich Oberreiter ab, die jedes Mal ein Schmankerl sind, kann man da einiges erleben. Gerade was ihre Vorhersagen anbetrifft. Da kann man nur Henri Tisol zitierten, der sagt: „Politologen sind wie Meteorologen, nach ihrer Meinung war die Vorhersage richtig, aber das Wetter falsch.“ Oder Thornton Wilder: „Politische Kommentare sind Orakel im Nachhinein.“

 

Wer nun aber meint, mein Kommentar zum Thema Analyse wäre grundsätzlich analysenfeindlich, irrt sich, ist sie doch der Hoffnungsschimmer, dass beim nächsten Mal alles anders und besser wird. Vorausgesetzt allerdings, man analysiert jede gemachte Analyse sorgfältig, bevor man zu den Konsequenzen schreitet.

 

 

 

Helmut Zöpfl