Unser tägliches Brot

 

Unser tägliches Brot...

 

 

 

 

 

Wenn ich einen meiner Momente des kleinen Glückes benennen sollte, dann ist es das: In einen Bäckerladen zu gehen und die herrliche Auswahl an Brotsorten zu betrachten. Wenn es dann noch nach frischgebackenem Brot riecht, kommen die ganzen Erinnerungen an meine Kindheit, in denen Brot eine so große Rolle spielte. Vielleicht kann nur der ein Loblied auf Brot singen, der erfahren hat, dass es nicht etwas Selbstverständliches ist. Ich gehöre noch zu jener Generation, in der der Verkauf des Brotes begrenzt war und jeder nur eine bestimmte Anzahl von Brotmarken bekam. Ein Laib Brot, ja eine Scheibe davon war in der Kriegs- und Nachkriegszeit etwas Besonderes, Kostbares. In der Regel gab es in den Zeiten nur ein Einheitsbrot, das noch dazu, offensichtlich aus Mangel an Weizen und Roggen mit weißen Rüben, den sog. Dotschen gestreckt war. Ehrlichkeitshalber muss ich aber sagen, dass wir zu der Zeit keinen Brotmangel hatten, denn meine Tante Käthi war mit einem Bäckermeister, dem lieben Onkel Jakob verheiratet und trat uns regelmäßig ihre Brotmarken ab. Hin und wieder bekamen wir aber auch noch ganz was Herrliches geschenkt. Eine befreundete Bauernfamilie brachte uns einen Laib selber gebackenes Brot vorbei. Wenn ich dann mit dem ebenfalls natürlich rationierten Butter oder auch mit der Einheitsmargarine ein Pausenbrot und einen Apfel dazu in die Schule mitbekam, habe ich mich schon zu Unterrichtsbeginn auf die Pause gefreut und jeden Bissen genossen. Da kam es schon auch vor, dass mein Banknachbar, der vielleicht nur eine gekochte Kartoffel dabei hatte, mich fragte: „Darf i amal bei dir abbeißen?“ Das Pausenbrot, also wirklich die zusammengelegten zwei Scheiben Brot, blieben bis längere Zeit nach dem Krieg die einzige Schulverköstigung, wobei mit steigendem Wohlstand der Belag zwischen diesem auch einmal eine Scheibe Wurst oder Käse sein konnte. Erst später fand sich bei Gelegenheit auch eine Butterbreze oder eine Wurstsemmel in dem von der Mutter bestückten Schulranzen. Ich erinnere mich aber auch mit Freude daran, dass ich es als Kind genossen habe, in meinen Milchkaffee Brot einzubrocken und dann auszulöffeln. Genauso ist mir die aufgeschmalzene Brotsuppe in bester Erinnerung, die meine Großmutter so meisterlich zu kochen verstand. Oder, dass ich mich beim Anschneiden des neuen Brotlaibes als Erstes um das Brotscherzel bemühte, weil halt die Brotrinde auch zu den kindlichen Köstlichkeiten zählte. Brot gehört zur Geschichte des Menschen wie kaum etwas anderes. Es ist immer wieder versucht worden, auf die Frage: Was ist der Mensch? eine Antwort zu finden. Ob es wirklich genügt, darauf nur zu antworten, er sei das „vernunftbegabte Wesen“, ein „werkzeugmachendes Säugetier“ oder die „Krone der Schöpfung“, wage ich zu bezweifeln, wenn man sieht, was aus dieser Vernunft werden kann und diese „Werkzeuge“ oft auch schreckliche Waffen sein können. Vielleicht wäre eine gute Definition: „Der Mensch ist das Wesen, das Bot backen kann“.

 

Immerhin gibt das Brot auch den Namen her für eine ganz wichtige Zeit des Menschen, die Brotzeit. Dass das Brot etwas ganz Besonders ist, offenbart sich aber vor allem in unserer Religion. Schon im Alten Testament kommt dem Manna in der Geschichte des Judentums eine ganz wichtige Bedeutung zu. Wir kennen zwar nicht das göttliche Rezept, nachdem dieses „gebacken“ wurde, auf alle Fälle ist es mir schon als das bekannte Kirchenlied in Erinnerung geblieben als „Himmelsbrot“, das auf unserer Pilgerreise unseren Hunger stillen kann. Gerade aber im Neuen Testament wurde das Brot von Christus ausersehen, als Erscheinungsweise seines Leibes dem Gläubigen die Begegnung mit dem lebendigen Gott zu ermöglichen. Das Abendmahl mit der Brechung des Brotes und der Darreichung an die Jünger zum Gedächtnis an Jesus ist ein Höhepunkt unseres Glaubens. Und in dem Gebet des Herrn, dem „Vater unser“ zählt es zu der wichtigen Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ im Zusammenhang mit der, Gott möge uns unsere Schuld vergeben.

 

Bei vielen Aufrufen, etwas für die Hungernden und Armen in dieser Welt zu tun, wird es zum Symbol, wenn wir gebeten werden „Brot für die Welt“ zu spenden.

 

Kein Wunder, dass das Brot auch in allen möglichen Sprüchen und Sprichwörtern auftaucht, wie „Was Brot ich ess, das Lied ich sing“, „Besser eigenes Brot als fremder Braten“. Bekannt ist auch das Wunder der Brotvermehrung, durch die Christus die Hungernden speiste.

 

In meinem Leben hat aber nicht nur das Brot eine große Rolle gespielt, sondern auch diejenigen, die es herstellen, die Bäcker. Meine Mutter stammte aus einem Bäckerhaushalt und stand schon als junges Mädchen im Bäckerladen ihres Stiefvaters, der ihre Mutter als Kriegerwitwe geheiratet hatte. Ich habe ihn noch als lieben fürsorglichen Opa in Erinnerung. Mein Firmpate war der besagte Mann meiner Tante Käthi, eines der größten originale Münchens, der Onkel Jakob, der sogar auf Grund seiner antinationalsozialistische Gesinnung einige Zeit im KZ verbringen musste. Und da gab es viele liebe Freunde und Bekannte, die das ehrsame Bäckerhandwerk gelernt hatten, z.B. unser stämmiger Verteidiger der Wiesenmannschaft des FC Eichendorff, der Hagen Hermann oder mein lieber so früh verstorbener Montagskickerfreund der Hauer Kurt. Dieser, ein hervorragender Fußballer hatte es nur deshalb nicht zu einem Vertragsspieler des FC gebracht, weil er in aller Herrgottsfrüh seine Arbeit in der Backstube antreten musste und nur mit Einschränkung beim Training an der Säbener Straße erscheinen konnte. Die Einladung seiner Freunde in seinem Garten, bei der er, schon lange in Rente, uns nochmal mit seinen Bäckereien verwöhnte, waren der Höhepunkt jeden Jahres. Natürlich ist da aber auch noch mein lieber Freund Ernst Hinsken, der Jahrzehnte lang der Bundestagsabgeordnete mit den meisten Stimmen in Bayern war und der es zum vielgeachteten Staatssekretär gebracht hatte. Was Gescheitheit und Redlichkeit anbetrifft, stahl er den meisten Akademikern im Bundestag die Schau. Auf alle Fälle muss ich aber auch den langjährigen Landtagsabgeordneten und Ehrenpräsidenten der Handwerkskammer Heinrich Traublinger nennen. Ich hatte das Vergnügen, mit ihm ein paar Mal bei Publikumsdiskussionen mitwirken zu dürfen und konnte feststellen, dass seine Beiträge stets das Gescheiteste war, was gesagt wurde.

 

Ich kehre noch einmal zu den am Anfang gesagten zurück. Bis heute ist das Brot nicht nur eine Beigabe meiner Ernährung sondern ein Hauptbestandteil meiner kulinarischen Freuden geblieben. Manchmal verspüre ich plötzlich eine unglaubliche Sehnsucht nach nichts anderem als einem Butterbrot mit einem Glas Milch dazu. Mit etwas Schnittlauch darauf stellt es dann jedes 4 Sterne Menü in den Schatten. Ganz besonders genieße ich es auch, ein Stückerl Brot in die Soße eines Bratens einzutunken und damit die letzten Reste davon aufzusaugen. Beim Broteinkauf für die Familie bin ich fast immer dabei und genieße die unglaubliche Vielfalt der Brotsorten, die für mich ein Zeugnis der Kreativität schlechthin sind. Was sich unsere Bäcker- und inzwischen auch Bäckerinnen alles einfallen lassen, hat fast schöpferischen Charakter.

 

Ich bin vorher auf den interessanten Bezug des Brotes zur Religion eingegangen. Nun möchte ich sogar das Wunder der Schöpfung anhand des Brotes versuchen in einer kleinen Geschichte aufzuzeigen versuchen:

 

Ein reicher Herrscher, der sich als besonders aufgeklärt betrachtete und kein Hehl daraus macht, dass er nicht nur Atheist war sondern sich auch über die naiven Leute, die noch an Gott glaubten lächerlich macht, besucht einen seiner bekanntesten Bürger in seinem Reich, der weit über dessen Grenzen hinaus den Ruf als der beste Bäckermeister seiner Zeit genoss. Selbstverständlich war er Hoflieferant und erfreute den Herrscher immer wieder mit neuen Kreationen. Nun wollte er ihn einmal bei der Arbeit sehen und vielleicht ein wenig Einblick in seine Backkunst gewinnen. Der Bäckermeister empfing ihn freundlich und versprach, ihm heute das Beste, was er je geschaffen hatte zu bereiten. Bei einem Glas Wein entspann sich eine interessante Unterhaltung, bei der es besagter Herrscher natürlich nicht lassen konnte, seine Meinung über Gott und die Welt zum Besten zu geben. „Unverständlich“ lachte er, „dass es in meinem aufgeklärten Reich immer noch Leute gibt, die keine Ahnung von Vernunft und Wissenschaft haben. Wir wissen doch genau, dass wir bei der Entstehung dieser Welt keines Gottes mehr bedürfen“, sagte er. „Am Anfang war der sogenannte Urknall, es entstand ein Urteilchen und im Lauf der Milliarden von Jahren durch viele Zufälle mit Hilfe der Evolution unsere Welt, unsere Erde und“, meinte er schmunzelnd „sogar Sie und ich. Ich hoffe, lieber Meister“ lächelte er, „Sie gehören auch zu den gescheiten Bürgern meines Landes.“ Der Bäcker gab keine Antwort, meinte aber: „Herr es ist Zeit, Ihnen jetzt meine neueste Schöpfung mein ,Panis caelestis' zu präsentieren. Ich hoffe, Sie haben etwas Zeit mitgebracht.“ Nach einiger Zeit erschien er mit einem großen Tablett, auf dem die verschiedensten Zutaten lagen: Ein Häufchen Mehl, Salz, ein Krug Wasser, Hefe, die verschiedensten Gewürze wie natürlich Kümmel, aber auch eine ganze Reihe von wohlriechenden anderen, an denen er den Herrscher schnuppern ließ. Dieser schnalzte mit der Zunge. „Ich kann es gar nicht mehr erwarten, bis ich die erste Scheibe Ihres äh panis caelestis kosten darf. Wie lange dauert es denn, bis es fertig ist?“ Der Bäcker meinte lächelnd: „So genau kann ich das nicht sagen, aber ich habe Sie ja gebeten, eine Menge Zeit mitzubringen. Jetzt stellen wir das Ganze einmal ins Freie und warten.“ Der Herrscher schaute ungläubig „Ins Freie stellen und warten... Warten auf was?“ „Nein“ sagte der Bäckermeister „ich kann Ihnen nur sagen, dass die Zutaten stimmen. Den Rest aber überlasse ich ganz der von Ihnen vorgeschlagenen Methode.“ „Meiner Methode?“ fragte er erstaunt. „Ich kann mich nicht erinnern, etwas in dieser Richtung gesagt zu haben.“ „Natürlich“, erwiderte der Bäcker „ich erinnere mich genau: Sie sagten, um diese Welt zu schaffen, genügen eine Menge Zeit und eine große Reihe von Zufällen, und dann erledigt das Weitere die Evolution. Schauen Sie einmal unsere wunderbare Welt an in ihrer Schönheit und Vielfalt, eine Welt die voller Leben ist und so gescheite Wesen wie Sie hervorgebracht hat. Was ist dagegen so ein Laib Brot, auch wenn er noch so gut schmecken mag?“ Also die Voraussetzungen, die Konditionen für einen perfekten Laib Brot sind erfüllt. Jetzt gebe ich die Verantwortung an den Zufall, die Zeit und die Evolution weiter.“ Der Herrscher schaute den Bäcker verblüfft an. „Nun gut“ lachte der, „kein Angst ich habe für heute vorgesorgt, falls Sie doch nicht allzu viel Zeit und Geduld haben sollten.“ Und nach kurzer Zeit holte er einen herrlich duftenden Brotlaib aus dem Ofen, der dem Herrscher das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. „Manchmal ist es vielleicht doch besser, einem gescheiten Bäckermeister zu vertrauen,“ lächelte er.

 

Ich komme zum Schlussgedanken: Ist es nicht ein ein wenig gewagtes Bild Gott mit einem Bäckermeister zu vergleichen? Bei Gott nicht, wie ich meine. Natürlich sind alle Bilder und Vergleiche im Hinblick auf Gott ganz und gar unvollkommen. Aber es ist für unseren begrenzten menschlichen Verstand wichtig, sich an etwas Konkretem zu orientieren und es nicht dabei zu belassen, etwas bloß Abstraktes und Geistiges anzusprechen. Ich meine, unser Gottesbegriff hat durchaus etwas handwerkliches an sich. Taucht nicht im Alten Testament das Bild Gottes auf, der den ersten Menschen aus Lehm gebildet hat? Könnte es nicht auch ein Art Teig gewesen sein? Ja und den zweiten Menschen, Eva formte er aus einer Rippe Adams, also eine chirurgische Tätigkeit, denn das griechische Wort Chirurg heißt wörtlich übersetzt, man höre und staune, eigentlich Handarbeiter. In der Philosophie taucht das Wort demiurg für Gott auf, und das Verbum demiurgein bedeutet herstellen, bilden, schaffen. Trotz sorgfältigem Nachdenken finde ich dagegen keinen Vergleich mit uns Akademikern. Und vom Sohn Gottes Jesus ist bekannt, dass er bei seinem Ziehvater Josef das Zimmererhandwerk gelernt hat und bestimmt wusste, wo und wie man Hand anlegen muss. Wie viele Wunder nämlich wurden durch seine Handauflegung vollbracht. Wie dem auch sei. Ich persönlich denke bei meiner Vater-unser-Bitte „Unser tägliches Brot gib uns heute“ immer auch ein wenig an seine Hersteller und wünsche mir, dass sie und die anderen Handwerker uns lange erhalten bleiben.

 

 

 

Helmut Zöpfl